Ein Jahr Ampel-Regierung Der queer-politische Aufbruch lässt auf sich warten!
Seit genau einem Jahr ist die Ampel-Regierung im Amt – Zeit für den Lesben- und Schwulenverband, eine Bilanz aus Sicht der LGBTI*-Community zu ziehen. Eines stehe dabei schon jetzt fest: Der angekündigte queer-politische Aufbruch lässt auf sich warten.
Viel heiße Luft und wenig Taten?
Henny Engels, Mitglied des Bundesvorstands des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) hält fest: „Ein Viertel der Legislatur der Ampelregierung ist vergangen. Mit dem Koalitionsvertrag haben die Koalitionsparteien SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP einen queer-politischen Aufbruch versprochen und zahlreiche Vorhaben zur Verbesserung der Situation queerer Menschen in Aussicht gestellt. Mit der Vorstellung des Eckpunktepapiers für ein neues Selbstbestimmungsgesetz und dem Kick-off zur Umsetzung des Aktionsplans ´Queer leben´ der Bundesregierung sind die ersten Schritte getan. Außerdem hat Bundesinnenministerin Faeser die Dienstanweisung Asyl aktualisiert und hiermit der Anwendung des sogenannten Diskretionsgebots konsequent einen Riegel vorgeschoben. Das ist erfreulich. Trotzdem ist bis heute kein einziges Gesetzesvorhaben aus dem queer-politischen Aufbruch verabschiedet worden.“
Stillstand nach fünf Jahren Ehe für alle?
Bereits mehrfach war in den letzten Wochen auch anderweitig Kritik laut geworden, dass die Ampel-Regierung und gerade auch das zuständige Bundesfamilienministerium zu langsam und träge in puncto LGBTI* agieren würde. Engels vom LSVD dazu: „Noch immer durchlaufen trans Menschen in Deutschland tagtäglich den pathologisierenden, diskriminierenden und teuren Prozess der Personenstandsänderung wegen des sogenannten Transsexuellengesetzes. In einer demokratischen Gesellschaft muss die Grundlage staatlichen Handelns der Schutz der persönlichen Freiheit sein und nicht eine ideologisch aufgeladene Ordnungsvorstellung über Geschlechtszugehörigkeit. Regenbogenfamilien warten seit vielen Jahren auf eine rechtliche Gleichstellung. Fast fünf Jahre nach der ´Ehe Für Alle´ und über zwei Jahre nach Einführung des dritten Geschlechtseintrags ´divers´ fehlt es nun aber noch immer an den erforderlichen rechtlichen Reformen im Familien- und Abstammungsrecht. Die gesellschaftliche Anerkennung und rechtliche Absicherung der Vielfalt an gelebten Familienformen wie Zwei-Mütter-Familien, Zwei-Väter-Familien, Mehrelternfamilien oder Familien mit trans- und intergeschlechtlichen Eltern müssen angegangen werden.“
Blutspendeverbot im Abseits
Zuletzt geriet auch eine Neujustierung bei den Richtlinien zur Blutspende immer mehr ins Hintertreffen, auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, hatte gegenüber dem ZDF eingeräumt, dass dies derzeit nicht vorrangig behandelt werde. „Durch die aktuelle Gesetzeslage entgehen der medizinischen Infrastruktur immer noch Blutspenden von Männern, die Sex mit Männern haben! Außerdem stehen bis heute längst überfällige Reformen im Antidiskriminierungsrecht aus, wie beispielsweise der flächendeckende Ausbau und die nachhaltige Finanzierung eines Netzwerkes zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen gegen Diskriminierung“, so Engels weiter. Noch immer werden schwule Männer im Bereich Blutspende nicht gleichberechtigt behandelt, sondern dürfen erst nach vier Monaten ohne Sex eine Spende abgeben.
Aktionsplan – eine Luftnummer?
Abschließend geht der LSVD und Engels auch mit dem nationalen Aktionsplan hart ins Gericht, der erst vor kurzem von Lehmann selbst vorgestellt worden war – konkrete Zeitpläne hatte der Queer-Beauftragte auch bei der Pressekonferenz nicht nennen können. Zudem: „Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche und queere Menschen warten seit einem Jahr darauf, dass die Bundesregierung ihre Versprechen umsetzt! Der Aktionsplan ´Queer leben´ ist hier ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings wurden dort überwiegend Punkte erneut bekräftigt, die bereits im Koalitionsvertrag angekündigt waren. Damit der Aktionsplan auch wirklich Leben verändert, müssen die angekündigten Maßnahmen nun umgesetzt und das heißt natürlich auch finanziert werden. Dafür schlägt der LSVD die Einrichtung eines Sonderfonds vor. Denn die LSBTIQ* Community braucht nicht noch mehr Worte der Hoffnung, sondern Taten und Gesetze, die das Leben in Deutschland für alle freier und damit demokratischer gestalten.“ Eine Reaktion seitens der zuständigen Ministerien sowie von Lehmann selbst steht aktuell noch aus.